Ein großes Ziel in der Grundschulzeit ist für die Kinder das Lesen- und Schreibenlernen. Dafür sind sogenannte Vorläuferfähigkeiten nötig. Der Erwerb der Schriftsprache erfordert beispielsweise die Einsicht, dass die Länge eines Wortes nichts mit der Länge eines Gegenstandes tun hat, das Wort „Kinderwagen“ ist z.B. länger als der „Zug“. Mit der phonologischen Bewusstheit wird der Blick von der Bedeutung eines Wortes auf formale Aspekte der Sprache gelenkt – Reime, Rhythmus, Klang der Sprache, usw. werden erfasst. Beim Lesen- und Schreibenlernen muss das Wissen über die gesprochene Sprache auf die Schriftsprache übertragen werden.
Kinder erwerben Regeln unserer Sprache, indem sie nachahmen, übernehmen, aber auch selbst erproben und erkannte Regelmäßigkeiten auf neue Zusammenhänge übertragen. Das geschieht auch, wenn Kinder sprechen lernen. Kinder machen sich ihren eigenen Reim auf sprachliche Besonderheiten. So äußerte in einer erlebten Situation beispielsweise ein Kind, welches einen Besen in der Hand hielt: „Schau mal, ich habe „gebest“.“ Dies ist ein Beispiel dafür, dass das Kind eine sprachliche Besonderheit unserer Sprache erfasst hatte und nun versuchte, diese selbst anzuwenden – eine beachtliche Leistung, auch wenn in diesem Fall das Wort „gebest“ nicht gebräuchlich ist, sondern eher „gefegt“ von „Feger“, „fegen“ verwendet wird.
Wenn es um das Sprechenlernen bei unseren Kindern geht, sind wir Erwachsenen meist recht entspannt und vertrauen darauf, dass die Kinder es im Laufe der Zeit richtig lernen werden. Bei einem Kleinkind, welches einen „Schmetterling“ als „Metterlein“ bezeichnet, ist man in der Regel zuversichtlich, dass es das Wort irgendwann richtig benennen kann. Wir als Erwachsene helfen im Optimalfall in dieser Situation und sagen es dem Kind richtig vor: „Ja toll, ich sehe den bunten Schmetterling auch!“ Dabei erhält das Kind die Wertschätzung, „mir ist wichtig, was du sagst“ und gleichzeitig das richtige Sprachmuster. Bei den meisten Kindern funktioniert das Sprechenlernen auf diese Weise wunderbar.
Für das sprachliche Lernen ist, wie oben beschrieben, das soziale Miteinander ein entscheidender Faktor. Dies ist auch beim Erwerb der Schriftsprache so. Hier müssen die Kinder unter anderem lernen, dass jedem gesprochenen Laut ein geschriebener Buchstabe zugeordnet wird. Leider gibt es dabei einige Stolpersteine, denn in der Übertragung von gesprochenen Lauten zu geschriebenen Buchstaben gibt es keine Eins-zu-Eins-Zuordnung, beispielsweise wird „sch“ als ein gesprochener Laut mit drei Buchstaben versehen oder es gibt für den gesprochenen Laut „F“ zwei verschiedene Buchstaben, nämlich „F“ und „V“, um nur zwei der möglichen Schwierigkeiten zu benennen. Unsere Buchstaben sind für die Kinder unbekannte Zeichen, deren Form, Richtung (d, b, p, q) und Zuordnung zu einem bestimmten Laut sie sich merken sollen. Dies ist ein anspruchsvoller Lernprozess, der viel Anstrengung bedeutet. Den Erwachsenen sei an dieser Stelle ein Selbstversuch mit einer Anlauttabelle für Erwachsene empfohlen, um ansatzweise nachzuvollziehen, welche Leistung die Kinder hier vollbringen (siehe unten).
Das Thema Rechtschreibung ist in den Medien seit einiger Zeit sehr präsent. Häufig bedient man sich hier der Ängste der Eltern auf eine gute Zukunft der Kinder. Aussprüche, wie „die Kinder schreiben wie sie hören und prägen sich die falsche Schreibweise ein“ befördern diese Sorgen. Die Kinder benötigen im sprachlichen Lernprozess, sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Bereich, Lernbegleiter, die ihnen helfen, an der individuell für sich richtigen Stelle den nächsten Schritt zu lernen. Das heißt: Alles zur gegebenen Zeit! (Einem Kleinkind, das einen Schmetterling als „Metterlein“ bezeichnet, würde man auch nicht versuchen, die Bildung des Futurs „beizubringen“.) Zudem zeigt unser obiges Beispiel mit dem Besen, das sich das sprachliche Lernen unserer Kinder nicht ausschließlich über Nachahmung vollzieht, denn die Verbform „ich habe gebest“ hat dem besagten Kind sicherlich kein Erwachsener so vorgegeben.
Beim Erlernen der Laut-Buchstaben-Zuordnung benötigen die Kinder Sprachvorbilder. Die gesprochenen Wörter müssen immer wieder mit der Schrift verbunden werden. Die Kinder lernen, einzelne Laute aus einem Wort herauszuhören, ein Wort, in Einheiten zu zergliedern. Zunächst hören sie vielleicht nur den Anfangslaut heraus, später den Endlaut oder auffallende Mitlaute innerhalb eines Wortes. Dies ist ein Lernprozess, in dem die Kinder viel Bestätigung brauchen. Wenn die Kinder versuchen, ein Wort, das sie abhören zu verschriften, kann es sein, dass dies zunächst nicht alle Buchstaben enthält. In der Schule werden Techniken, wie beispielsweise das Silbenschwingen, erlernt, die beim Schreiben und Lesen helfen. Die Kinder lernen so, wie Wörter im Deutschen aufgebaut sind, welche Endungen möglich sind, welche Buchstabenverbindungen häufig vorkommen. Dazu werden Modellwörter aus dem Grundwortschatz (vgl. www.grundwortschatz.nrw.de) verwendet aber auch individuell bedeutsame Wörter der Kinder. In der Erweiterung ihrer Fähigkeiten im Schriftspracherwerb durchlaufen die Kinder verschiedene Phasen (siehe Übersicht über Strategien im Schriftspracherwerb), in denen sie ihre Kenntnisse und Strategien immer wieder aktiv erproben. Die Kinder machen Fehler, anhand derer ihr Lernfortschritt erkennbar wird.
Wir beobachten in der Schule die Lernentwicklung der Kinder kontinuierlich und geben individuelle Hilfen zum Weiterlernen. Im Bereich der Rechtschreibung verwenden wir in den Jahrgängen 1 bis 3 einmal im Jahr einen standardisierten Rechtschreibtest, um Kinder mit besonderen Schwierigkeiten im LRS-Bereich frühzeitig zu erkennen und Fördermaßnahmen gezielt abstimmen zu können (vgl. Rubrik LRS).
Im Deutschunterricht der Grundschule lernen die Kinder wichtige Arbeitstechniken, wie beispielsweise das richtige Abschreiben von Wörtern, bei dem es darauf ankommt, Buchstabe für Buchstabe genau zu übertragen und anschließend zu kontrollieren. Hier wird genau darauf geachtet, dass die Wörter vollständig sind und dass die richtige Schreibweise (Groß- und Kleinschreibung) eingehalten wird. Zudem wird beim Abschreiben im Laufe der Zeit trainiert, sich immer größere Einheiten (Silben, mehrere Wörter, einen Satz) zu merken und diese richtig aufzuschreiben. Um die Kinder beim Lesen- und Schreibenlernen bestmöglich zu unterstützen, braucht es eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule. Die Kinder benötigen viele Gelegenheiten, gesprochene und geschriebene Sprache miteinander zu verbinden, damit sie die Laut-Buchstaben-Zuordnung erlernen und verinnerlichen. Diese ist eine wichtige Basis für eine gesicherte Lese- und (Recht-) Schreibkompetenz. Damit die Kinder beim Durchgliedern der Wörter nicht durcheinandergeraten und alle Buchstaben erfassen, ist es bedeutsam, jeden Laut einzeln zu benennen und nicht Buchstabenbezeichnungen des Alphabets zu verwenden. (Wenn z.B. das „B“ als „Be“ bezeichnet wird, müsste das Wort „Bett“, so aussehen: „Btt“.)